Burgholzhausen-info/ Januar 30, 2022

Als es noch Brötche mit Rippche gab

Die Bäckerfiliale Moos schließt und damit endet wohl Ende Februar eine über 90jährige Geschichte des Bäckereigewerks in der Burgholzhäuser Haingasse.

Bäckerei Moos Burgholzhausen

Bäckerei Moos schließt Ende Februar 2022

Die Burgholzhäuser Nahversorgung schrumpft im neuen Jahr weiter: Ende Februar schließt die Bäckerei Moos ihre Filiale in Burgholzhausen. Ein Nachfolger ist nicht in Aussicht. Frische Backwaren gibt es wohl zukünftig nur noch im Supermarkt oder in der Kernstadt. Auch in Köppern gibt es Veränderungen, die Verkaufsstelle der Bäckerei Hembd schließt zum 2. März, weil der Mietvertrag nicht verlängert wurde. Doch Köppern ist mit Bäcker Kraus, der Honighalle und der Bäckerei im Rewe-Markt wesentlich besser aufgestellt, was die Backwarenversorgung angeht, als der kleinste Stadtteil Burgholzhausen mit seinen über 3500 Einwohnern. Hembd, der seine Backstube und sein Hauptgeschäft längst in Friedrichsdorf hat, bietet seinen langjährigen Kunden einen Lieferservice an. Ob das auch eine Option für Burgholzhausen ist oder ob ein Pop-up-Laden zumindest samstags für knusprige frischgebackene Brötchen vor Ort sorgen kann?

Wenn Moos die Türen schließt, endet gleichzeitig eine über 90jährige Geschichte des Bäckergewerks in der Haingasse. Wer kennt noch „Brötche mit Rippche“? Wer die lecker aufgepeppten Schnittbrötchen noch kennt, erinnert sich vielleicht auch an die Vielfalt der Burgholzhäuser Bäckereien im alten Ortskern in den letzten Jahrzehnten. Denn Wandel ist nichts Neues. Da war bis in die 60er Jahre die Bäckerei Höck, bis in die 70er Jahre den Bäcker Correll in der Hintergasse, später kurzzeitig eine Filiale der Bäckerei Hensel in Alt-Burgholzhausen. In der Rodheimer Straße wurde bis in die 2000er Jahre bei der Bäckerei Meyer kräftig gebacken und die Ware in dem kleinen Räumchen an die Kunden gebracht, wo bis 2019 die Postfiliale war. Zu Meyer gehörte ein gutgehender Verkaufsladen nahe des Friedrichsdorfer Bahnhofs, der den Ruf von fantastischen Backwaren aus Burgholzhausen hochhielt.

Bäckerei Moos Burgholzhausen

Ende einer über 90jährigen Bäcker-Tradition in der Haingasse steht bevor.

Und dann war da noch die Bäckerei Reinhardt. Die Familienbäckerei und der Standort des Backladens an der Ecke Haingasse/Alt-Burgholzhausen hat eine besonders lange Tradition, Ende Februar geht sie wohl nach über 90 Jahren zu Ende. Die Bäckereikette von Hartmut Moos versorgte hier seit 2008 die Burgholzhäuser mit Brot, Brötchen und Kuchen. Am 28. Februar 2022 endet der Mietvertrag. „Wir hoffen, dass wir bis zum letzten Tag die Filiale täglich öffnen. Die Wirtschaftlichkeit der Filiale ist leider nicht mehr tragbar“, so eine Sprecherin der Bäckereikette aus Aßlar. Die Schließung hatte sich schon länger abgezeichnet. Erst wurden Öffnungszeiten stark reduziert, der Inhaber hatte zuletzt Schwierigkeiten verlässliches Personal zu finden. Auch das Angebot in der riesigen Theke wurde im Lauf der Jahre ausgedünnt, Investitionen in neue Kasse oder gar eine Kühltheke wurden verschoben oder nicht mehr getätigt. Dort wo früher Torten oder belegte Brötchen im Angebot waren, gab es neben den Brotwaren die gängigen Mittwochskuchen, aber die Sahnestückchen fehlten. Mancher Kunde vermisste schon am frühen Morgen eine Auswahl der Ware und zog beim nächsten Einkauf seine Konsequenzen. Seit im Oktober 2019 die gegenüberliegende Bank schloss, fiel Laufkundschaft weg und die Kundenfrequenz sank weiter. Die Corona-Pandemie hat das Ende des Ladens beschleunigt, denn sie hat nicht nur das Leben aller, sondern auch das Kaufverhalten nicht nur in Burgholzhausen nachhaltig verändert.  Eine Rentnerin berichtet, dass sie sich seit Beginn der Corona-Pandemie sehr genau überlegt, wo sie einkauft und möglichst viel in einem Geschäft oder an einer Stelle holt. Daher sei sie auch weniger in Burgholzhausen einkaufen gegangen und hat auch oft ihre Backwaren bei den Bäckereiketten im Taunus Carré gekauft. Wie ihr, geht es vielen. Früher ging der Weg zur Bank einher mit dem Einholen beim Bäcker und dem Metzger.

Aus der Geschichte der ehemaligen Bäckerei Reinhardt

Eine, die das noch ganz anders kennt, ist Karin Schröder. Bis 2017 stand sie hinter der Ladentheke, neun Jahre lang bei Moos und davor 35 Jahre bei der Bäckerei Treutel. Ihrer Familie gehört das Anwesen in der Haingasse 45. Die Rodheimer Bäckerei übernahm 1970 den Familienbetrieb Reinhardt, nachdem ihr Vater Heinrich Reinhardt schon früh mit 46 Jahren verstarb. Nachbarn halfen anfangs am Wochenende in der Backstube mit, doch ohne festen Bäcker hatte das Familienunternehmen keine Zukunft. Treutel übernahm, backte kurzzeitig noch in Burgholzhausen, aber brachte schon nach wenigen Monaten die Backwaren aus der Familienbäckerei aus der Rodheimer Klappergasse in die kleine Verkaufsstube nach Alt Burgholzhausen.

Burgholzhausen

Im alten Haus der Familie Reinhardt wurde auch Mitte der 1970er Jahre noch die Brötchen verkauft. (Foto aus dem Fundus von M. Peilstöcker)

Auf dem Foto von 1976/77 sieht man noch das alte Haus der Reinhardts, das 1982 abgerissen wurde. Der Eingang zum Verkaufsladen war da, wo man das Tchibo-Schild erkennen kann. Die Haingasse war damals Einbahnstraße und hatte eine Teerdecke. Auf dem Anwesen befand sich im 18. Jahrhundert das Fürstliche Amtshaus und die alte Zehntscheune. Im Hintergrund erkennt man das heutige Haus der Familie Schröder, damals noch im Rohbau, das Dach war bereits gedeckt. Heute steht an gleicher Stelle eine große Kastanie.

Von Valentin, Jean und Heinrich

Bereits in den 1920er Jahren hatte die Familie Reinhardt eine Backstube, allerdings nicht an dieser Stelle. Der Kempe Jean (sprich Schaa), wie Karin Schröders Großvater Johannes Reinhardt genannt wurde, war Bäcker und kam aus der Backstube von Valentin Reinhardt in dem kleinen Haus in der Haingasse 14. Die Pfeiler des Eingangs sind auch heute noch unverändert erkennbar.

Bäckerei Burgholzhausen

Das Foto ist Mitte bis Ende der 1920er Jahre in der Haingasse 14 entstanden (aus dem Album von N. Knörr)

Die Aufnahme ist etwa zwischen 1925 – 1930 entstanden. Links steht Bäcker (und Metzger) Valentin Reinhardt, links von ihm seine Frau, und rechts seine zwei Töchter; rechts am Zaun ein Knecht und am Fenster eine junge Frau, die möglicherweise Magd im Haus war. Sohn Johannes (genannt Jean) fehlt leider auf dem Foto. Auch aus der damaligen Backstube existiert noch ein Foto. Der Bäckerbursche Albert posiert 1928 an der Teigmaschine in der Haingasse 14. Beide Fotos stammen aus dem Familienalbum von Nina Knörr.

Bäckerei Burgholzhausen

aus dem Familienalbum von Nina Knörr: Bäckerbursche Albert 1928

Zu Beginn der 1930er Jahre zog die Backstube um in die Haingasse 45, in das Anwesen der Familie von Johannes Reinhardts Frau Lise um. Der Umbau war 1934 beendet, die Bäckerei hatte sich vergrößert. Auf einer Aufnahme von 1960 ist das alte Anwesen rechts sehr gut zu erkennen, hier ein Ausschnitt.

Bäckerei Reinhardt

Oben rechts sieht man das Anwesen der ehemaligen Bäckerei Reinhardt, entlang der Haingasse.

Neben dem Familienhaus stand das Torhaus und danach gab es ein weiteres Häuschen, wo die alte Backstube untergebracht war. Neben dem Torhaus gab es einen weiteren Eingang, wo Kohlen und das Mehl angeliefert wurden. Das Mehl kam in die großen Bottiche getrennt nach Weizen- und Roggenmehl im Mehlkeller, der über der Backstube war. Über Leinenschläuche wurde es in die Backstube geführt, wo der Bäcker das Mehl direkt in die Teigmaschine leiten konnte.

25 Meter waren es ungefähr von der Backstube bis zum Verkaufsraum. Die Familie trug unter Mühen die frischen Brote und Backwaren täglich über die unwegsamen Bachkatzen. Neben der Backstube waren im Hof Ablagen, wo das Brot auskühlen konnte. Längst war auch Sohn Heinrich, der Vater von Karin Schröder, nach einer Lehre in Bad Soden in den Familienbetrieb eingestiegen, obwohl er lieber an Autos herumschraubte. In Kriegszeiten wurde er ins thüringische Saalfeld als Soldat abkommandiert und musste den dortigen Bäcker ersetzen, um die Versorgung der dortigen Bevölkerung zu gewährleisten. Dort lernte er auch seine Frau kennen.

Das Bäckerhandwerk war eine Knochenarbeit, nicht nur weil das Bearbeiten der Teige Kraft erforderte oder das nächtliche Aufstehen hart war. Nicht vergessen darf man, dass der alte Backofen über Jahrzehnte mit Kohle beheizt wurde. Früher holte die Familie Reißer zum Anfeuern aus dem Spießwald. Erst 1966 wurde der Ofen durch einen gebrauchten Ölofen ersetzt, Heinrich Reinhardt verblieben gerade mal zwei Jahre, um damit zu backen. Neben Rühr- und Teigmaschine wurde irgendwann in eine Maschine investiert, die das Herstellen der Teiglinge beschleunigte, doch die Schlitze wurden damals noch alle händisch in jedes Brötchen gesetzt.

Schwarzbrot und Weißbrot

Der Kunde von heute würde einiges vermissen, gab es früher nur „Schwarzbrot“, samstags dazu Weißbrot und natürlich täglich frische Brötchen. Schwarzbrot konnte sowohl Weizenbrot als auch Roggenbrot sein, alles was kein Weißbrot war, wurde umgangssprachlich so genannt. Erst in den 1960er Jahren kam dann Kuchen ins Sortiment, meist Hefekuchen. Zu der Zeit kamen am Wochenende auch die Frauen vom Ort und haben die Restwärme des Ofens genutzt, um die eigenen Kuchen, meist Hefekuchen, für 10 Pfennig Backgeld zu backen. Da kam es regelmäßig vor, dass freitags ein Eimer fertig geputzter Pflaumen oder Kirschen abgegeben wurde, Bäcker Reinhardt gar den Teig beisteuerte, belegte und backte und die Kundinnen am Samstag den frisch gebackenen Blechkuchen nur noch abholten mussten. Diese Tradition lebte übrigens noch bis in die 1990er Jahre in Burgholzhausen.

Später richtete sich Heinrich Reinhardt eine Konditorstube ein, wo er sein Sortiment um Torten erweiterte, Spezialität: Schwarzwälder Kirschtorte. 1966 kam zur Freude der Kinder eine Eistruhe in den Laden. Ein Jahr vor seinem Tod buk er zusammen mit der Oma aus Thüringen in der Vorweihnachtszeit Unmengen an Plätzchen. Die gingen weg wie die warmen Semmeln. „Das lief so gut, damit verdienen wir im Moment mehr als mit Brot.“ Das erzählte er seine Familie und wollte im Folgejahr wieder in die Weihnachtsproduktion gehen. Dazu sollte es aber nicht mehr kommen.

Erst verstarb 1967 der Kempe Jean, zwei Jahre später mit 46 Jahren sein Sohn Heinrich Reinhardt. Seine Witwe und die ältere Tochter versuchten noch einige Monate die Bäckerei allein zu halten, aber es war auf die Dauer nicht zu leisten. Der Ölofen wurde zu einem Spottpreis verkauft, Richard Treutel aus Rodheim übernahm 1970, der Verkaufsladen verblieb zuerst im alten Haus. 1977 wurde der neue Verkaufsladen, den die Burgholzhäuser heute noch kennen, eröffnet. Der Laden war Ortsmittelpunkt, hatte das schwarze Brett der Vereine vom Ort und verkaufte die Eintrittskarten der Burgspielschar oder für andere Veranstaltungen. Morgens gab es Brotwaren, nach der Mittagspause kam der Kuchen in die Auslage. Einst gehörten Kaffee, Vitapan-Brot und frische Hefe genauso zum Sortiment wie Osterhasen oder die „Brötche mit Rippche“. Das sind übrigens die Vorgänger der Mohrenkopfbrötchen, die man damals noch so nennen durfte. In Holzkisten wurden in mehreren Lagen Schokoplatten angeliefert. Für das Brötchen mit Rippche wurde einfach ein Teil einer Schokoladenrippe herausgebrochen und ins Brötchen gesteckt. Für 10 Pfennig war man mit dabei. Das waren noch Zeiten, über die Karin Schröder sagt. „Früher konntest du ein Brötchen noch abends essen. Die Zeit fehlt heute, gute Backwaren brauchen Zeit.“ (suno)

Bäckerei Moos Burgholzhausen

Frisch gebackene Brötchen gibt es in Burgholzhausen nur noch bis Ende Februar 2022