Burgholzhausen-info/ Juni 14, 2021

Über Hausgeburten und Hebammen und Burgholzhäuser und Holzhäuser

Gestatten: Santino Elian Taranto, Geburtsgewicht 3740 g und 55 cm, geboren am 3. Mai 2021. Die Eltern Ruxandra und Vincenzo Taranto freuen sich, dass ihr jüngster Spross seitdem über 600 Gramm zugelegt hat. Sein Bruder Marinello wird im Juli 5 Jahre alt und hat ihn gleich begrüßt, als sein Geschwisterchen auf die Welt kam, obwohl es schon abends kurz nach neun war. Ulkig, der Geburtsort der beiden beginnt jeweils mit einem „B“: Marinello ist wie sein Vater in Berlin geboren, Santino, der kleine Heilige, wie sein Name übersetzt heißt, in Burgholzhausen. Dass diese Hausgeburt nicht nur für die Familie Taranto ein unvergessliches Erlebnis ist, sondern auch für Burgholzhausen einen Besonderheitswert hat, erfuhr der frisch gebackene Papa dann auf dem Standesamt. Seit 10 Jahren hat es in Burgholzhausen keine Hausgeburt mehr gegeben. Willkommen, Santino, kleiner echter Burgholzhäuser!

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Familie Taranto mit dem echten Burgholzhäuser Santino

Edith Schneider vom Standesamt in Friedrichsdorf hat für uns in die Geburtenregister geschaut. Von 1939 an, als aus Holzhausen Burgholzhausen wurde, bis zur Gebietsreform 1972 gab es ein eigenes Register. Seit der Eingemeindung von Burgholzhausen werden die Geburten alle in Friedrichsdorf beurkundet, da musste sie schon genau schauen, welche Kinder im Stadtteil Burgholzhausen geboren wurden. Bis Mitte der Sechziger Jahre waren Hausgeburten auch hier noch selbstverständlich und brach dann ab. Die Frauen gingen und gehen in die Kliniken. Seit über 50 Jahren ist die Geburt von Santino erst die fünfte Hausgeburt! Eine Entwicklung, die man durchaus auf ganz Deutschland übertragen darf. Erst seit 2015 ein neuer Vertrag zur Hebammenversorgung und Haftpflichtausgleich für Hebammen mit Geburtshilfe abgeschlossen wurde, nahm die Anzahl der Hausgeburten wieder zu. Doch gibt es noch lange kein flächendeckendes Angebot für Frauen. „Wichtig ist: die Schwangere muss sich ganz früh anmelden“, so Hebamme Kim Spottog. So wie früher einfach erst 3-4 Wochen vor dem errechneten Geburtstermin mit der Suche anzufangen, ist heute nicht mehr ausreichend. Aber sie ist sich sicher, dass jede Schwangere eine Hebamme finden kann.

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Niederlande traditionell Spitzenreiter bei Hausgeburten

Nicht viele Hebammen in Deutschland bieten Hausgeburten an, ganz im Gegensatz zu unseren Nachbarn in den Niederlanden, dem Land mit der traditionell höchsten Hausgeburtsrate in Europa. Laut einer Studie der Uni Münster lag sie 2013 um 30%, nach einem Bericht in der NRZ vom November 2019 sind die Zahlen allerdings mit inzwischen 13% rückläufig. In Deutschland führt Quag, die Gesellschaft für Qualität der außerklinischen Geburtshilfe e.V., seit 2011 Erhebungen durch. „Da amtliche statistische Referenzzahlen über Geburten außerhalb von Krankenhäusern seit 1982 nicht mehr vorliegen, können nur Schätzungen zu außerklinisch geborenen Kindern vorgenommen werden.“ Nicht alle Hausgeburten werden bei Quag gemeldet, für 2020 ermittelte der Verein bei rund 770.000 in Deutschland geborenen Kindern etwa 14.000 Hausgeburten. Das entspricht nur 1,82%. Die Zahl ist in den letzten Jahren leicht ansteigend, aber gehört lange nicht zur Normalität. Ob es daran liegt, dass die Frauen lieber in eine Klinik gehen oder es einfach nicht ausreichend gut ausgebildete und erfahrene Hebammen gibt, die Hausgeburten anbieten, die Frage stellt sich durchaus. Die Frauen von heute sind selbstbestimmter und beschäftigen sich intensiv mit der Frage, wie möchte ich mein Kind zur Welt bringen. Die Schwangerschaft ist keine Krankheit, eine Geburt ist ein natürlicher Vorgang. Die außerklinische Geburtshilfe wird zunehmend zu einer Option für die Frauen, insbesondere im letzten Jahr verursacht durch die Pandemie. Die richtige Risikoeinschätzung ist dabei ein wichtiger Faktor. Das Ärzteblatt verweist bereits 2013 auf eine Analyse der Hebamme Ank de Jonge vom VU University Medical Center in Amsterdam, dass es in den Niederlanden „bei einer geplanten Hausgeburt nur in 3,4 Prozent der Fälle zu einer dringlichen Überweisung in die Klinik“ kommt. Grundlage war das landesweite Perinatalregister und eine zweijährige Studie über Komplikationen auf 98 geburtsbehilflichen Stationen, wo Klinik- und Hausgeburten analysiert wurden. Zu ähnlichen Ergebnissen kam das Britische Ärzteblatt 2013, wonach das Komplikationsrisiko bei Hausgeburten sogar niedriger lag als bei einer geplanten Geburt in der Klinik. Grundvoraussetzung ist jedoch immer, dass keine Risikoschwangerschaft vorliegt.

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Schwanger während Covid

Mit Beginn der Pandemie nimmt die Nachfrage nach Hausgeburten nachweislich zu. Auch für Ruxandra Taranto war es eine ungute Vorstellung, unter den zusätzlichen Hygienemaßnahmen zur Geburt in eine Klinik zu gehen. Die Unsicherheit, ob ihr Mann oder ihre Mutter sie während der ganzen Geburt begleiten dürfen oder nicht, beschäftigten sie. Auch hätte ihr Sohn Marinello seinen Bruder frühestens nach drei Tagen kennenlernen dürfen. Sie als Mutter empfindet es prinzipiell als eine schwierige Situation, nicht mit der ganzen Familie nach der Geburt vereint sein zu dürfen. So machte sie sich auf die Suche und fand die Langgönser Hebammen Vanessa Hildmann und Kim Spottog. Die beiden betreuen schwangere Frauen im Umkreis von rund 100 Kilometern, begleiten die Geburt im Geburtshaus in Langgöns oder auch die Niederkunft in den eigenen vier Wänden.

Die Hausgeburts-Hebammen aus dem Geburtshaus Langgöns

Das Anliegen der beiden sympathischen jungen Hebammen Vanessa Hildmann und Kim Spottog ist, den Frauen zu helfen den Wunsch nach einer außerklinischen Geburt zu verwirklichen. „Für uns Hebammen ist es das allerwichtigste, dass Frauen selbstbestimmt gebären können.“ Sie führen intensive Vorgespräche mit den Frauen, um herauszufinden, was für jede individuell am besten ist. Die Geburtsvorbereitung beginnt mit betreuenden Gesprächen, bei denen sie die Frauen auch in Fragen der Ernährung beraten, damit das ungeborene Leben die bestmögliche Versorgung erhält. Bei ihrem ganzheitlichen Ansatz kommt bei den beiden Langgönser Hebammen bei in der Schwangerschaft auftretenden Beschwerden auch Homöopathie zum Einsatz, hie und da wird getapt oder sie nutzen die Vorteile der Akupunktur. Beim Letzteren arbeiten sie mit einer ausgebildeten Heilpraktikerin zusammen. Auch das Thema HypnoBirthing findet regelmäßige Anwendung in allen Gesprächen. Ziel ist es, mithilfe besonderer Hypnosetechniken, Unsicherheiten und Ängste, die mit einer bevorstehenden Geburt einhergehen können, in Selbstvertrauen umzuwandeln. Die Geburtsbegleitung ist ein wichtiger Schwerpunkt, bei dem beide Hebammen im Team vor Ort sind und ihren Schwangeren ein Gefühl der Sicherheit vermitteln. Die Wochenbettbetreuung dauert in der Regel zwölf Wochen, Stillberatung inklusive. In ihrem Geburtshaus in Langgöns haben sie ausreichend Platz für Schwangeren-Sport- und Rückbildungskurse. Kim schaut Vanessa an und meint, „so zwei Jahre begleiten wir unsere Familien“.

Geburtshaus Langgöns

Die Hebammen Kim Spottog und Vanessa Hildmann vom Langgönser Geburtshaus
(Foto: Geburtshaus Langgöns)

Sie haben sich während der Ausbildung in der Hebammenschule in Gießen kennengelernt und danach gemeinsam einige Jahre in der Bad Nauheimer Hochwald-Klinik gearbeitet. 2018 eröffneten sie ihre eigene Praxis für Hausgeburtshilfe und Begleitgeburten in Bad Nauheim. Mit der Eröffnung des „Geburtshaus Langgöns“ im letzten März, haben sich Vanessa und Kim einen langgehegten Traum erfüllt. Dort ist auf rund 150 Quadratmetern ausreichend Platz für Gesprächs-, Behandlungsräume und Kursraum entstanden. In dem Haus, wo sie beide bei der Renovierung kräftig selbst Hand angelegt haben, haben sie eine Wohlfühlatmosphäre geschaffen und dabei natürlich die Zweckmäßigkeit nicht aus den Augen verloren. „Wohlbefinden trägt zur Sicherheit bei der Geburt bei“, dazu gehört, der Schwangeren jeden möglichen Wunsch zu erfüllen.

Die Pandemie hat seit dem letzten Jahr Einfluss auch auf ihre Arbeit, aber die beiden Hebammen wollen das Positive sehen und haben schon früh entsprechende Konzepte ausgearbeitet. Kim bietet ihre Sportkurse für Schwangere per Zoom an, natürlich werden auch hier die werdenden Väter gerne mit einbezogen. Sie fand es sehr spannend, die veränderte Interaktion der Paare bei den virtuellen Kursen gegenüber Präsenzkursen zu beobachten. Wie sich die Paare gemeinsam vermehrt ausgetauscht haben, betrachtet sie als Gewinn. Zu Beratungen per Videokonferenz kam es im letzten Jahr notgedrungen auch, wenn auch das persönliche Gespräch wo immer möglich gesucht wurde. Die Umstände, die Covid19 mit sich bringt, ist natürlich für Gebärende ein präsentes Thema, das automatisch gewisse Ängste schürt, so wie bei Ruxandra Taranto.

 

Sicherheit wird mit einem anderen Blickwinkel betrachtet

Eine sichere Geburt ist wichtig, für die Schwangeren genauso für die Hebammen. Falls es doch einmal zu Komplikationen kommen sollte, ist die nächste Rettungswache nur 5 km entfernt und das nächste Krankenhaus in 10 km Reichweite, in 10 bis 13 Minuten ist man also notfalls im Krankenhaus. „Sicherheit wird mit einem anderen Blickwinkel betrachtet“, betont Kim Spottag und vergleicht die Vorbereitungen für eine Geburt mit Hochzeitsvorbereitungen, wo man auch ein Jahr vorher sich schon Gedanken macht, wie man den schönsten Tag im Leben besonders gestaltet. Genauso ist es für die Familien, die Nachwuchs erwarten. Eine gute Vorbereitung ist hilfreich. „Sie dürfen sich bei uns alles wünschen. Das Wohlbefinden der Frau trägt zur Sicherheit bei der Geburt in hohem Maße bei. Die Frau darf in ihrem Element sein und sich gehen lassen können.“ Gemeinsam mit den Frauen besprechen sie die individuell besten Optionen für eine entspannte Geburt, sei es im Geburtshaus in Langgöns, wo die wichtige Intimität gewährleistet ist, oder bei der Hausgeburt. Eine Familie aus Ortenberg hat sich kürzlich für die Niederkunft im Geburtshaus entschieden, weil die Infrastruktur im eigenen Wohnort und die Erreichbarkeit eines Krankenhauses im Notfall nicht genügend war. Für die Tarantos aus Burgholzhausen war hingegen die Geburt im häuslichen Umfeld das angestrebte Ideal.

Für Vanessa Hildmann ist es ein definitives Plus ihrer Arbeit, dass sie in ihrer Praxis individuell auf die Frauen eingehen und die Schwangeren die Geburt bewusst nach ihren Wünschen mitgestalten können. Im Gegensatz zu den Geburtsstationen in den Krankenhäusern, wo häufig 3, 4 oder 5 verschiedene Hebammen die Gebärenden am Tag der Geburt begleiten, können sie eine individuelle 1:1-Betreuung leisten. „Bei der Geburt sind wir immer zu zweit dabei, in der Vorbereitung ist eine von uns die Hauptansprechpartnerin.“ Aber die andere lernt die Schwangere auch zeitig kennen, damit ein Vertrauensverhältnis aufgebaut werden kann.

 

Hebammentagebuch Hessisches Landesarchiv

Tagebuch der Hebamme von Helmarshausen 1873 – 1889 (HStAM Best. 330 Helmarshausen, Nr. B 90), Staatsarchiv Marburg

Der Tag war ein organisatorisches Wunder

Die Geburt in Burgholzhausen erlebte Vanessa Hildmann im Rückblick als sehr „heilsam für die Familie. Sie verlief sehr harmonisch, sehr liebevoll und sehr innig.“ Vanessa und Kim schauen sich kurz überlegend an. „Es war für uns ein organisatorisches Wunder, denn es war die dritte Geburt an diesem Tag. Wenn uns vorher jemand gesagt hätte, dass man es so planen kann, hätten wir es nicht für möglich gehalten.“ Vom Geburtshaus ging es über Frankfurt zur dritten Geburt nach Burgholzhausen, zum Glück eine Ausnahme in ihrem Hebammenalltag. Im letzten Jahr hatten sie etwa sechzig Geburten, in diesem Jahr durften sie bereits 24- 25 Kinder auf die Welt bringen. So ein Tag ist also auch für Hebammen nicht alltäglich und Burgholzhausen wird in Erinnerung bleiben.

 

Mutter mit Vorerlebnissen

Die Stewardess Ruxandra Taranto würde sich jederzeit wieder von den beiden Hebammen aus Langgöns begleiten lassen, „Sie sind sehr erfahren, kompetent und professionell, obwohl sie beide mit unter 30 noch jung sind. Vor allem, sie waren toll im Team, dabei sehr respektvoll und würdevoll uns gegenüber.“

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Sie blickt zurück. „Die gemeinsame geburtsvorbereitende Arbeit kam mir zugute und half, Selbstvertrauen für die Geburt zuhause zu entwickeln. Da muss man als Frau auch an sich arbeiten.“ Sie hatte Glück, dass die Chemie zu ihrer Haupthebamme Vanessa Hildmann direkt stimmte, deren Konzept sie überzeugte und so wurde die Hausgeburt in Burgholzhausen von der Familie Taranto anvisiert. Die junge Mutter berichtet, dass die Geburt ihres ersten Sohnes Marinello mit einem Geburtsstillstand verbunden war. Sie hebt harsche Kritik an der Betreuung im Berliner Krankenhaus. „Dort war man sehr ruppig, es herrschte ein rauer Ton. So sollte man mit Gebärenden nicht umgehen.“ Sie habe gemeinsam mit Vanessa Hildmann in persönlichen Gesprächen, aber auch über Zoom, die Vorstellungen intensiv besprochen, Ängste abgebaut und sich so auf die natürliche Geburt zuhause vorbereitet. Dennoch wollte sich die 38-Jährige alle Optionen offenlassen und war durchaus auch im Bad Homburger Krankenhaus angemeldet.

Ihr Mann Vincenzo hat seine Frau bei der Entscheidung unterstützt und ihr vertraut. „Wenn sie sich sicher fühlt, dann fühle ich mich auch sicher.“ Sie haben viel über das Wie gesprochen, wie sie zuhause eine schöne und entspannende Atmosphäre für die Geburt gestalten können. Seine Frau gab ihm eine Aufgabe für die heiße Geburtsphase „Bring mich zum Lachen – das war der Deal.“ Nachmittags waren sie im nahen Feld noch spazieren. Ihre Mutter war extra zur Unterstützung angereist, während des Corona-Lockdowns nicht selbstverständlich. Für Ruxandra war es ein Gewinn, dass sie sich im gewohnten häuslichen Umfeld den ganzen Tag frei bewegen konnte. Natürlich waren die Presswehen nicht angenehm, aber so Ruxandra, „ich bin stolz, dass wir es geschafft haben. Dass wir es selbstbestimmt gestalten konnten, war toll. Im Krankenhaus hätte mich keiner so motiviert oder die Hand gehalten. Ich habe zu keiner Zeit Angst gehabt. Die Herztöne des Babys wurden permanent überwacht, es stand nicht unter Stress. Das vermittelte mir auch ein Sicherheitsgefühl.“ Ihre Erfahrung als Yogalehrerin war hilfreich zur Anwendung der richtigen Atemtechnik während der Wehen. Sie schwärmt weiter: „Es war ein sehr schöner Moment direkt nach der Geburt, als alle direkt bei mir und dem kleinen Santino waren. Das wäre im Krankenhaus nicht möglich gewesen. Es war sehr heilend, besonders nach den Erfahrungen der ersten Geburt.“ Und auch der große Bruder Marinello dufte seinen Bruder Santino, den echten Burgholzhäuser, direkt zuhause in die Arme nehmen.

Holzhäuser oder Burgholzhäuser

Übrigens, “echte Holzhäuser” gibt es nur noch ganz vereinzelt, jedenfalls solche die als Geburtsort “Holzhausen” in ihrem Personalausweis eingetragen haben. Denn die müssen vor September 1939 geboren sein.

© S. Noster, 2021
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Nach 10 Jahren wieder ein waschechter Burgholzhäuser!

 

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