Ein Kälbchen mit einem Eintracht-Schal? Ja, Sie haben richtig gelesen. Die Geschichte von Kälbchen Ulli ähnelt einem modernen Weihnachtsmärchen mit Herbergssuche. Erfahren Sie, wie es dazu kam, dass Ulli Ehrenmitglied auf Lebenszeit und Maskottchen des Eintracht Frankfurt Fanclubs „Holzhäuser Adler“ wurde und vier gestandenen Männern magische Momente und eine besondere Patenschaft bescherte.
Vier sportliche Männer sind an einem sonnigen Sonntag im Oktober auf dem Weg zum Tennistraining nach Ober-Erlenbach und radeln am Burgholzhäuser Milchbauernhof vorbei. Auf einer Weide kurz hinter der Dairy Farm Wien macht Stefan Kmoch die Entdeckung. „Da! Da liegt ein Kälbchen!“ Michael Maurer, Silvio Büchner und Daniel Dauernheim machen ebenfalls Halt und schauen nach. Tatsächlich, ein Kälbchen wurde gerade geboren mitten auf der Wiese! Daniel macht sich auf den Weg, um auf dem Hof Bescheid zu geben. Johanna Wien, gelernte Agrarbetriebswirtin, kommt flugs herbei und schaut nach dem Rechten. Alles ok. Das kleine braun-weißgefleckte Kälbchen war gerade erst draußen mitten auf der Wiese geboren. Das Aufstehen gelingt nicht gleich, doch es schafft es schließlich doch. Die ersten wackligen Schritte, es bewegt sich etwas schwankend und sucht die Mutter. Für Johanna Wien ist es immer noch ein magischer Moment nach der Geburt, wenn das Leben startet und ein kleines Kälbchen versucht, zum ersten Mal aufzustehen und die ersten Schritte zu gehen. „Es ist ein spannender Moment. Die vier Männer im Sportdress haben mitgefiebert bis es stand.“ Mutter und das Neugeborene brauchen noch eine Weile Ruhe, bevor sie später zum nahen Stall transportiert werden. Gleich wird nach einem Namen gesucht, die Männer sind mit Feuereifer dabei. Die Mutter heißt Uschi, also muss der Vorname traditionsgemäß auch mit einem U beginnen. Es schien ein Kuhkalb zu sein, so kam Ulli zu seinem Namen. Tragende Kühe kommen 6 – 8 Wochen vor der Niederkunft auf die Weide und werden ab der Zeit nicht mehr gemolken, bis das Kalb kommt. Zwei Wochen vor dem erwarteten Termin geht es dann wieder zurück in den Stall in eine eigene Box, wo zur Stärkung bis zur Geburt besonders hochwertiges Futter gereicht wird. Meist kommen die Kälbchen im Stall zur Welt. Aber wie bei den Menschen, gibt es durchaus regelmäßig Frühgeburten wie bei Uschi. Sie hat schon zwei anderen Kälbchen das Leben geschenkt, so war sie erfahren. Die Frühchen sind in der Regel kleiner, so schafft die vierbeinige Mutter die Geburt meist gut ohne Hilfe durch den Menschen. Uschi war einfach flott.
Schockierende Nachricht
Irgendwann zog das Quartett weiter zum Tennisspiel, aber die Rede war die ganze Zeit nur von dem kleinen Naturwunder. Nicht verwunderlich, dass sie abends gleich wieder im Stall standen, um nach ihrem Findling zu schauen. Johanna Wien begrüßte sie mit „Na, da sind ja die Paten wieder.“ Uschi und Ulli ging es gut, sie hatten sich in ihrer Box auf dem warmen Stroh zur Ruhe gelegt. Allerdings hatte sie auch eine überraschende Nachricht, die den Männern einen Schock versetzte. Nachdem das Kälbchen im Stall genauer untersucht werden konnte, stellte sich heraus, dass „die Ulli“ ein männliches Tier ist. Namenstechnisch kein Problem, dann war es halt „der Ulli“. Die meisten männlichen Kälber müssen Milchbauernhöfe aber nach kurzer Zeit verlassen.
Auch auf der Dairy Farm Wien ist nur Platz für eine beschränkte Anzahl Ochsen und einige Stiere für die Nachzucht. Insgesamt leben neben den rund 70 Milchkühen im Moment 127 Tiere auf dem Hof. Die Tiere können sich weitgehend frei bewegen und fressen, wenn es ihnen beliebt. Nach Geschlecht und Alter gibt es abgetrennte Bereiche. Markus und Johanna Wien sind mit Leib und Seele Agrarbetriebswirte, sie sorgen und engagieren sich sichtlich für das Wohl ihrer Tiere. Die Rinder sind nicht nur die Nummern auf den Ohrmarken, sondern haben alle Namen. Das ist längst nicht mehr überall Usus. Zum Hof gehören rund 90 Hektar Grün- und Ackerland, wo sie gentechnikfrei Mais, Gerste, Weizen, Luzerne oder einfach Ackergras vorwiegend für den Eigenbedarf anbauen. In den letzten Jahren wurde einiges in einen neuen Stall und Technik investiert, um den Betrieb modern zu halten und die gestiegenen Auflagen in der Landwirtschaft zu erfüllen. Seit 2015 bieten sie den Verbrauchern ihre Frischmilch, übrigens als einer der ersten in Hessen, in der Milchtankstelle an. Der Frischmilchautomat wurde längst vergrößert und ist über Friedrichsdorf hinaus Anlaufstelle für Menschen, die gerne frische unbehandelte Milch direkt vom Hof holen. Das Kuhguckfenster erlaubt den direkten Blick in den Kuhstall und wird besonders von Familien gerne genutzt. In der Tat macht es Spaß die Tiere zu beobachten oder zuzuschauen, wenn sich eine Kuh von einer großen Bürste genüsslich massieren lässt. Johanna Wien ist erstaunt, dass manche Kinder genau die Namen der Tiere kennen und sie auch schon mal darauf ansprechen, wenn „Peter“ nicht mehr an der gewohnten Stelle steht, sondern eine Reihe weiter zu Emil und Elmo aufgerückt ist.
Der familienfreundliche Betrieb hat vor kurzem eine Proviantstation eröffnet, wo sie fair angebaute Kakao- und Kaffeespezialitäten mit ihrer eigenen Milch veredeln. Dazu gibt es im Regiomat durchgehend kalte Getränke, Kuchen und süße Leckereien, oder aber Cowboy-Pfefferbeißer aus der eigenen Herstellung für den herzhaften Hunger. Die neue Kuhkoppel mit Sitzgelegenheiten wurde im Sommer hergerichtet. Hier können sich Wanderer und Radfahrer jederzeit niederlassen und einen Imbiss zu sich nehmen. Die Hofstation ist eine Anlaufstelle der Regionalpark-Rundroute. Die regionale Direktvermarktung ist das zweite Standbein der Wiens neben dem Milchvertrieb an die Großmolkerei. Das hofeigene Rindfleisch wird im Hofladen des Reinhardtshofs in Burgholzhausen verkauft.
Damit wären wir auch wieder bei Kälbchen Ulli. Dessen Schicksal ließ auch Daniel Dauernheim und seine Sportfreunde nicht los. Da traf es sich gut, dass sie allesamt Eintracht Frankfurt-Fans und teilweise im Vorstand der Holzhäuser Adler sind. Daniel Dauernheim gründete 2018 mit Freunden den SGE-Fanclub in Burgholzhausen. Rund 50 Mitglieder hat der Verein und seit einigen Tagen ein vierbeiniges Ehrenmitglied.
Zuhause bei den Dauernheims war Ulli und sein Schicksal natürlich auch Tagesgespräch, schließlich erlebt man nicht jeden Tag eine Kälbergeburt. Die Idee kam schließlich von seiner Frau Maria Isabel. „Was hältst du denn davon, wenn ihr die Patenschaft übernehmt?“ Die Eintracht hat Attila, den Adler, als Maskottchen, warum soll ein Fanclub nicht auch ein Maskottchen bekommen? Die Wiens brauchten sie nicht lange zu überreden, Markus und Johanna Wien waren gleich einverstanden, Ulli einen Platz auf Lebenszeit bei lauter netten Mädels (gemeint waren die Kühe) zu gewähren und den Holzhäuser Adlern die Patenschaft zu übertragen. Der Fanclub seinerseits ernannte Ulli zum Ehrenmitglied auf Lebenszeit und hat nun als einziger hessischer Verein ein braun-weiß geschecktes Kälbchen als vierbeiniges Maskottchen. Im nächsten Frühjahr wollen sie auf der Kuhkoppel gemeinsam ein Vereinsfest feiern, sofern es die Pandemie zulässt. Wundern Sie sich also nicht, wenn Sie irgendwann einem vierbeinigen Ochsen mit einem Eintracht-Schal begegnen. Das ist Ulli. (suno)