Burgholzhausen-info/ Januar 19, 2019

Die Ohren sind abgesprungen!“

Das stelle sich jemand mal vor! Es gibt eine neue große Glocke für den Ort! Ein wichtiges Ereignis und großartiger Anlass für ein Fest in jedem kleinen Dorf. Endlich hört man auch draußen auf dem Feld bei der Arbeit, wann es Zeit ist für eine Pause oder wann man zum Kirchgang aufbrechen muss. Armbanduhren waren ja nicht so sehr in Mode. Und dann das! In der ganzen Umgebung, bis hin nach Seulberg und Köppern, hörte man den dumpfen tiefen, langanhaltend klingenden Aufschlag aus Holtzhausen dröhnen. So berichtet am 28. Juli 1718 die lutherische Gemeinde in einem Evangelische Kirche BurgholzhausenSchreiben an einen „Hochundwohlgeborenen“, dass „dadurch die Ohren davon abgesprungen sind“, als die „neue große Glocke auf hiesiger lutherische(n) Kirche unlängst vom Glockenturm abgefallen“ ist. Erst der große Schrecken, dann kam das große Entsetzen und dann die Frage nach dem Verursacher. Wie konnte so etwas passieren? Hat der Zimmermann oder der Schmied schlampig gearbeitet? Oder war es die Kirchengemeinde selbst, die zu ungeduldig war und den Probelauf nicht lang genug abwarten konnte? Was alles noch hätte passieren können! Die Bevölkerung war jedenfalls in Aufruhr. Der eine schob es natürlich auf den anderen und so wurden von Amts wegen Gutachter bestellt, die die Sachlage klären sollten. Schließlich ist es ja auch alles eine Frage des Geldes – wer bezahlt den Schaden und trägt die erforderlichen Reparaturkosten? Rund 65 bis 70 Mark sollte der Schmied bezahlen.

Wie war die Sachlage?

Scheinbar war die Glocke halbwegs heilgeblieben und der Glockenturm auch. Genau lässt sich das anhand der bisher vorliegenden Dokumenten nicht nachvollziehen. Vielleicht führte es aber auch zu langfristigen Schäden, in dem Jahr als in der neuen Kirche Richtfest gefeiert wurde? Aber das sind nur Mutmaßungen.

Es gab nur zwei mögliche Fehlerquellen für den Glockenabsturz: Der Zimmermann Hans Musil Cunz hat den Glockenaufsatz nicht richtig und stabil genug gebaut oder der Schmied, dessen Namen wir leider nicht kennen, hat die Befestigung der Glocke nicht ordentlich geschmiedet, zumal er eine neue Technik für die Aufhängung verwandte. Letztendlich war selbst die Kirchengemeinde nicht ganz unschuldig daran, dass es zu diesem Unglück kam. Sie wurde „einer Uebereilung und Vorwitzes beschuldigt“, weil sie trotz Mahnung die Glocke habe auf dem Turm montieren lassen. Dabei hätte man „billig vorher die Arbeit hätte ändern lassen können“. Zwar war die neue große Glocke schon vormontiert auf dem Kirchfest oder dem Kirchhof einige Wochen zur Probe geläutet worden. Zu dem Zeitpunkt gab es bereits Zweifel an der Funktionstüchtigkeit, wie es aus einem Schreiben vom 22. Juli 1718 hervorgeht. Schlaue Geister empfahlen schon vor der Verbringung der Glocke auf den Kirchturm, dass der Schmied nacharbeiten oder einen zweiten Meister zu Rate ziehen solle. Der Zimmermann Cunz weigerte sich gar den Kirchturm zu besteigen, als die Glocke aufgehängt wurde. Scheinbar knackste es da schon im Gebälk. Und dann kam es im Sommer 1718 irgendwann zu dem großen Unglück. Und dabei sollte die neue lutherische Kirche bald fertiggestellt und eingeweiht werden. Indessen ging es beim parallel erfolgten Bau der katholischen Kirche zügig voran. Man stellt sich die Spötteleien im Ort vor.

Evangelische Kirche BurgholzhausenDer Amtschreiber aus Windecken wurde ersucht, „unparteiische Handwerksleute, Zimmer-, Schmiede- und Schlossermeister“ zu bestellen. So kam der Meister Johann Heinrich Klein aus Dorheimb aus dem Hanauischen zu der Erkenntnis, dass „die an dem Glockenjoch durch den Schmied gemachten… beiden Zapfen eine ungewöhnliche und untüchtige Arbeit, die gar nicht dauerhaft sei, zumal auch die … ganz und gar nicht nutze, und (er) findet die Arbeit an der kleinen Glocke besser und dauerhafter…Wenn das Joch an der Großen auf gleiche Art gefertigt wäre, würde der geschehene Schaden nicht erfolgt sein, mit nochmaligem Erinnern, dass er die neue Invention (Erfindung) an der grossen Glocke sonst nirgends wahrgenommen und niemals gesehen und gefunden.“

Auch der Windecker Zimmermeister Johann Georg Baron und der Oberurseler Schmied Johann Niclas Cozi stimmten mit diesem Urteil völlig überein. Als vierte unparteiischer Begutachter war der Schlosser Johann Georg Diehl aus Woernborn, Amt Draussberg (?) ebenfalls zu dem gleichen Urteil gelangt.

Sie „erkenne(n) solchem nach … dass der Schaden keineswegs dem Zimmermann anzulasten, dessen Arbeit untadelig sei, sondern dem Schmied allein und lediglich wegen seiner gefährlichen und untüchtigen neuen Invention.“ Unterschrieben und „so geschehen Burg & Holzhausen den 19. Juli 1718.

Beeidigung der unparteiischen Gutachter zum Glockensturz in Holtzhausen 1718(Staatsarchiv Darmstadt), zur Verfügung gestellt von Wilfried Engel. Feuerwehr Burgholzhausen

Woher stammt diese kleine Geschichte?

Die Dokumente zu dieser kleinen Anekdote zum 300-Jährigen Geburtstag der evangelischen Kirche in Burgholzhausen im Jahre 2019 hat Wilfried Engel zufälligerweise im Darmstädter Staatsarchiv entdeckt. Er suchte vor einigen Jahren zusammen mit Manfred See und Helmut Dörr dort nach historischen Dokumenten zur Geschichte der Burgholzhäuser Feuerwehr als Vorbereitung für deren 75-jähriges Jubiläum. Ein schwieriges und langwieriges Unterfangen, zumal die Schriftstücke nicht alle vollständig und zudem in Sütterlin-Schrift verfasst sind. Bei den Übersetzungen halfen Edmund Haas, Inge Wien und Marianne Peilstöcker. Vielen Dank!

300 Jahre: Festgottesdienst und Empfang zum Kirchenjubiläum

Die evangelische Kirchengemeinde feiert am 20. Januar 2019 in einem Festgottesdienst um 14.00 Uhr mit anschließendem Empfang den 300-Jährigen Geburtstag der kleinen Kirche in Alt-Burgholzhausen. Die Glocken werden läuten, wie fast immer seit 300 Jahren. Die katholische Pfarrgemeinde feiert mit! 

Evangelische Kirche Burgholzhausen

SN